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dungsfreiheit ist die Blankettstrafdrohung des Art. 292 StGB, wonach der Ungehorsam gegen
eine Verfügung mit Haft oder Busse bestraft werden kann. Nach der Praxis des
Bundesgerichts
287
ist eine bloss verwaltungsbehördlich ausgesprochene Verfügung vom
Strafrichter immer akzessorisch zu überprüfen, wenn keine Beschwerde an ein
Verwaltungsgericht möglich ist. Macht der Betroffene von der Möglichkeit verwaltungsge-
richtlicher Kontrolle keinen Gebrauch oder steht dieser Entscheid noch aus, so darf der
Strafrichter die Verfügung nur auf offensichtliche Gesetzesverletzung überprüfen. In
Ergänzung zur bundesgerichtlichen Praxis ist freilich hinzuzufügen, dass nicht nur
Rechtsfragen, sondern auch die Sachverhaltsfeststellungen vom Strafrichter geprüft werden
müssten
288
. Die zum Teil fehlende kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit wird insoweit kom-
pensiert
289
.
VI. Geltung für den Instanzenzug
69 Art. 6-1 EMRK begründet keinen Anspruch auf ein Rechtsmittel gegen eine
erstinstanzliche Gerichtsentscheidung (Instanzenzug)
290
. Wenn aber Rechtsmittel gegeben
sind, so müssen in diesen Verfahren die Garantien des Art. 6-1 EMRK grundsätzlich
eingehalten werden. Allerdings können Besonderheiten der Berufungs-, Revisions- oder
Kassationsverfahren trotz Widerspruches zu Art. 6-1 EMRK (z.B. Öffentlichkeit, Über-
286
Siehe die Beispiele aus dem landwirtschaftlichen Bodenrecht oder dem Grundstückserwerb durch Personen im
Ausland, wo Verwaltungsverfügungen unmittelbar zivilrechtliche Folgen haben, Weber-Dürler Beatrice,
Verwaltungsrecht als Vorgabe für Zivil- und Strafrecht, Votum, in: VVDStRL 50 (1990) 276; Imboden Max/
Rhinow René, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Band 2, Basel/ Stuttgart 1976, Nr. 142 B II. b.
287
Vgl. BGE 98 IV 106 bestätigt von BGE 104 IV 137.
288
BGE 98 IV 106 E. 3d scheint sich mit einer Prüfung reiner Rechtsfragen zu begnügen.
289
Aus menschen- und konventionsrechtlicher Sicht ist daher die in der Literatur umstrittene Über-
prüfungskompetenz des Strafrichters kein Thema mehr; vgl. aber die Darlegung der verschiedenen Meinungen bei
Trechsel, Kommentar, N. 7 zu Art. 292 StGB m.w.H. Eigenartigerweise haben die umfangreichen Auseinander-
setzungen um Art. 292 StGB diesen entscheidenden Aspekt stets ausgeblendet.
290
Vgl. Urteil Belgian Linguistic Case, ECHR Series A 6, § 9 der Entscheidungsgründe, S. 33; Urteil Delcourt,
ECHR Series A 11 § 25; E 14739/89, Hugh Callaghan a.o. v. United Kingdom, DR 60, 296; E 11941/86, G. c.
France, DR 57, 100; E 8603/79, 8723/79, 8729/79, Crociani a.o. v. United Kingdom, DR 22, 147; E 11396/85,
John W. Ross v. United Kingdom, DR 50, 179; Strafkassationshof des Waadtländer Kantonsgerichtes v.
27.7.1990, JdT 1991 III 30; van Dijk/van Hoof, Convention 305f; Khol, Implications 639, § 9; Trechsel, 7.
Zusatzprotokoll 202; Frowein/Peukert, Kommentar N. 52 zu Art. 6 EMRK, Miehsler/Vogler, IntKom, N. 272
m.w.H. zu Art. 6 EMRK. Vgl. aber zu einem Rechtsmittelanspruch N. 90, S. 93, Anm. 2.