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1. In "zivilrechtlichen" Sachen
63 In "zivilrechtlichen" Sachen muss das Gericht sowohl Tatsachen- als auch
Rechtsfragen überprüfen können. Beiden kommt die gleiche ausschlaggebende Bedeutung für
den Ausgang eines Verfahrens zu
265
. Es ist hingegen nicht erforderlich, dass das Gericht das
Ermessen ("discretionary power" bzw. "pouvoir discrétionnaire") in dem Sinne nachkontrol-
liert
266
, dass es auch anders, für den Beschwerdeführer günstiger ausgeübt werden könnte.
Vom Erfordernis der gerichtlichen Tatsachenprüfung kann aber abgesehen werden, wenn der
Tatbestand zwischen den Parteien gar nicht umstritten ist
267
.
64 Die Regierungen haben sich vor den Strassburger Organen oft darauf berufen,
dass gar keine Streitigkeit über Tat- oder Rechtsfragen vorliege, sondern nur unterschiedliche
Anschauungen im Bereiche reiner Ermessenskompetenz der Verwaltungsbehörde
268
. Der
Gerichtshof beantwortet diese entscheidende Frage nach nationalem Recht und vor allem
nach den Vorbringen des Beschwerdeführers
269
. Dabei ist es erforderlich, dass der Be-
schwerdeführer die Willkürlichkeit, Gesetzwidrigkeit oder Tatsachenwidrigkeit des verwal-
tungsbehördlichen Aktes rügt. Streitet sich der Beschwerdeführer mit der Verwal-
tungsbehörde jedoch nur über die "beruflichen Fähigkeiten"
270
oder "whether he was a fit and
proper person"
271
, so sind dies "questions of judgement"
272
. In den beiden Fällen van Marle
265
Urteil Le Compte a.o., ECHR Series A 43, § 51; Urteil van Marle, ECHR Series A 101, §§ 35f; BGE 117 Ia 526
oder RUDH 1992 350; BGE 117 Ia 192; 117 Ia 386; 115 Ia 69f; 115 Ia 187; Frowein, Überprüfungsbefugnis 142;
Kley, Privatrecht 48.
266
B 7598/76, Kaplan v. UK, DR 21, 5ff, § 151ff; B 11309/84, Mats Jacobsson, § 84, ECHR Series A 180-A, S. 21
oder EuGRZ 1989 263ff, § 84; Velu/Ergec, Convention 402, § 453; Khol, Implications 638, § 7; Frowein/Peukert,
Kommentar, N. 39 zu Art. 6 EMRK; Miehsler, IntKom, N. 80f zu Art. 6 EMRK; Frowein, Überprüfungsbefugnis
142ff; Schmidt-Assmann, Verfahrensgarantien 106f; BGE 111 Ib 232f, 115 Ib 192, 115 Ia 191f; 117 Ia 502f; BGr
v. 1.6.1992, AJP 1992 1172.
267
E 15267/89 gegen Österreich, ÖJZ 1992 385; ebenso das Bundesgericht, BGE 117 Ia 497; BGr v. 11.11.1992
betreffend die kantonale Freihaltezone Rauschenbach am Greifensee (Kanton Zürich), NZZ v. 12.11.1992, S. 57
(weil das BGr die strittigen eigentumsbeschränkenden Rechtsfragen umfassend prüfen konnte, genügte die
staatsrechtliche Beschwerde dem von Art. 6-1 EMRK verlangten Gerichtsschutz).
268
So bei der Vergabe von Konzessionen aufgrund von Staatsmonopolen, vgl. das Urteil Tre Traktörer Aktiebolag,
ECHR Series A 159, § 38 (Alkoholverkaufsmonopol des schwedischen Staates); Urteil Bodén, ECHR Series A
125, § 31. Im Urteil van Marle a.o., ECHR Series A 101, § 36 hatte sich der Gerichtshof dieser Auffassung ange-
schlossen. Vgl. ob ein Recht vorliegt N. 47, S. 52 Anm. 2.
269
Deutlich im Urteil Bodén, ECHR Series A 125, § 32.
270
Vgl. Urteil van Marle a.o, ECHR Series A 101, §§ 27-38.
271
B 7598/76, Kaplan v. United Kingdom, DR 21, 5ff, § 148.
272
B 7598/76, Kaplan v. United Kingdom, DR 21, 5ff, § 166.