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der Strafrichter ohnehin über die Ausfällung der Nebenstrafen befindet. Sie stellt sich indessen,
wenn Administrativsanktionen (z.B. der Führerausweisentzug) aus rechtsstaatlichen Gründen
(Art. 6-1 EMRK) in die richterliche Kompetenz überführt werden sollen
46
. Die Empfehlung des
Ministerkomitees über Verwaltungsstrafen vom 13.2.1991 fordert immerhin einen
Gerichtsschutz gegen solche Verwaltungssanktionen
47
.
2. Ausgewählte Problembereiche
a. Neben- und Übertretungsstrafrecht
14 Die Missachtung der Normen des kantonalen Übertretungsstrafrechtes und der
zahllosen Strafbestimmungen in den Verwaltungs- und Verfahrensgesetzen der Kantone
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und
des Bundes
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führt zur Ausfällung einer Busse oder gar von Haft. Beide Sanktionsarten stellen
nach den Kriterien des Gerichtshofes hinsichtlich ihrer Schwere und ihres Adressatenkreises
strafrechtliche Anklagen gemäss Art. 6-1 EMRK dar; es sind die Garantien des Art. 6 EMRK zu
46
Vgl. Schulz Hans, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils und des Dritten Buches
"Einführung und Anwendung des Gesetzes" des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern 1987, S. 95
betreffend den Führerausweisentzug. Dieser unterliegt als Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG schon heute
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Art. 97ff OG (vgl. z.B. BGE 116 Ib 146). Würde er als strafrechtliche
Anklage bewertet (was z.B. Dugrip, Applicabilité 350, § 49 befürwortet), so müsste das nachkontrollierende
Gericht auch die Strafzumessung (Entzugsdauer) prüfen, vgl. N. 65. Die Kommission hat im E 10950/84, St. c.
Suisse, VPB 1986 Nr. 101 Art. 6-1 EMRK auf ein Verfahren betreffend den Entzug des Führerausweises wegen
übersetzter Geschwindigkeit angewandt.
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Recommendation R (91) 1 v. 13.2.1991 über Verwaltungsstrafen, Prinziple 8, vgl. Information Sheet No. 28, S.
178ff: "An act imposing an administrative sanction shall be subject, as a minimum requirement, to control of
legality by an independent and impartial court established by law." Im verwaltungsstrafrechtlichen Anwen-
dungsbereich des Art. 6-1 EMRK bringt diese Empfehlung allerdings eine Verschlechterung gegenüber Art. 6-1
EMRK, da das nachprüfende Gericht nur Rechtsfragen prüfen soll, nicht den ebenso wichtigen Sachverhalt.
48
Vorbehalten in Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 StGB. Siehe z.B. das Urteil des Aargauer Verwaltungs-
gerichtes v. 26.2.1991, StE 1992 B 101.1. Nr. 5 (Ordnungsbusse wegen Nichteinreichung der Steuererklärung);
BGr. v. 7.5.1991, J.R. gegen Gemeinderat St. Margrethen und Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen,
SZIER 1992 502 und Amtsblatt des Kantons St. Gallen 1992 1791 (Zuständigkeit des Gemeinderates bei
Widerhandlungen gegen das Baugesetz); es liessen sich hier zahlreiche Bestimmungen anführen.
Besonders interessant ist das Problem, das sich in BGE 117 Ia 491 stellt: Der die Beugehaft anordnende Richter
übt gewissermassen (interne, justizielle) "Verwaltungstätigkeit" aus. Gleichwohl kann nicht verlangt werden,
dass der Richter, der die Zeugnisverweigerung bestraft, ein anderer ist als jener, der den Zeugen zur Befragung
vorgeladen hat. Die Verhandlung betreffend die Verhängung von Beugehaft muss freilich gemäss Art. 6-1
EMRK öffentlich erfolgen. Vgl. auch E 17417/90, S. et E. c. Suisse, VPB 1992 Nr. 55; B 14220/88, Ravnsborg
v. Sweden, NQHR 1993 203 (vor dem Gerichtshof anhängig).
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Insbesondere das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 22.3.1974, SR 313.0 (VStrR) und die
zahlreichen Bestimmungen des Nebenstrafrechtes in Verwaltungsgesetzen des Bundes, vgl. Haefliger,
Menschenrechtskonvention 122. So ist Art. 6-1 EMRK auf Verfahren betreffend Zollbussen anwendbar, vgl. E
11423/85, Paolo Senis c. France, DR 59, 50. Im Urteil Salabiaku, ECHR Series A 141-A war die
Anwendbarkeit des Art. 6 EMRK in einem Zollstrafverfahren unbestritten.