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(Bussen, Besoldungskürzungen) als "zivilrechtlich" angesehen werden müssten. Die künftige
Rechtsprechung wird in dieser Frage hoffentlich einen verbindlichen Weg weisen.
d. Strafsteuern
17 Die Gerichte haben sich mehrfach mit der im Sinne des Art. 6-1 EMRK straf-
rechtlichen Natur der Strafsteuer beschäftigt. Die Strafsteuern wollen nicht nur als sog.
Nachsteuern den Steuer- und Zinsenausfall ausgleichen, sondern zusätzlich als general- und
spezialpräventiv indizierte Verwaltungssanktionen wirken
61
. In dieser Ausprägung sind sie echte
Strafen und ziehen die Anwendung des Art. 6 EMRK nach sich. Das Ausmass der Strafsteuern
kann bedeutende Beträge ausmachen. Nach dem Adressatenkreis richten sie sich an die
steuerpflichtige Allgemeinheit. Die Kriterien des Gerichtshofes sind offensichtlich erfüllt; Art.
6-1 EMRK ist daher auf Strafsteuerverfahren anwendbar. Die aktuelle Rechtsprechung und die
Literatur teilen heute mehrheitlich diese Auffassung
62
,
63
.
Anwendungsbereich des Art. 6-1 EMRK zugewiesen.
61
Vgl. z.B. Art. 125 (Steuerwiderhandlung, ausgestaltet als verwaltungsrechtliche Busse von Fr. 1 bis 10'000.-)
und Art. 126 des st. gallischen Steuergesetzes v. 23.6.1970, sGS SG 811.1 (Steuerhinterziehung, ausgestaltet als
1/3 bis zum dreifachen Betrag der Nachsteuer), vgl. Weidmann Heinz/Grossmann Benno/Zigerlig Rainer,
Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 4. A., Muri/Bern 1987, S. 270; vgl. Art. 129 Abs. 1 BdBSt,
welcher eine Busse bis zum Vierfachen des entzogenen Steuerbetrages vorsieht. Das Bundesgericht verlangt,
dass die allgemeinen Regeln des Art. 48 Abs. 2 und Art. 63ff StGB Anwendung finden, vgl. BGE 114 Ib 30. Es
handelt sich im Falle von Art. 129 Abs. 1 BdBSt um eine strafrechtliche Sanktion (BGE 116 IV 266 m.w.H.;
BGr v. 5.7.1991, in: StE 1992 B. 101.6 Nr. 3).
62
Rechtsprechung: Vgl. BGr v. 14.9.84, StE 1985 B 101.21 Nr. 2; BGE 116 IV 266; BGr v. 5.7.1991, StE 1992 B
101.6 Nr. 3; Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide 1989 II Nr. 19; Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich, ZBl 1983 327ff; Rechenschaftsbericht des Verwaltungsgerichtes Zürich an den Kantonsrat 1989, Nr.
38-42 und 1991, Nr. 29-31, 33, 34; StE 1991 B 101.8 Nr. 6; GVP 1991 Nr. 24 (Einordnung als echte Strafe).
Das Verwaltungsgericht Schwyz, StE 1987 B 101.21 Nr. 5 (S. b), bezweifelt die Anwendbarkeit des Art. 6-1
EMRK, weil "nicht Vergeltung und Besserung des fehlbaren Steuerpflichtigen im Vordergrund" stehen,
"sondern das Bestreben, die fiskalischen Interessen des Gemeinwesens zu schützen". Auch stünden keine
Freiheitsstrafen auf dem Spiel. Der französische Conseil d'Etat (das oberste Verwaltungsgericht) sieht Art. 6-1
EMRK ebenfalls als unanwendbar an, vgl. Dugrip, Applicabilité 350, §§ 50, 51.
Es ist aber zumindest eigenartig, dass das Bundesgericht die Bestrafung der Erben wegen Steuerhinterziehung
des Erblassers zwar als strafrechtliche Anklage angesehen hat (vgl. BGE 117 Ib 367 oder EuGRZ 1992 416),
aber darin keine persönliche Bestrafung der Erben sah, vgl. Trechsel, Strafbarkeit 16ff.
Literatur: Vgl. Trechsel, Strafbarkeit 27 Anm. 52 m.w.H.; Flauss, Convention 1991, 20; Kälin/Sidler,
Strafsteuer 169ff m.w.H.; Zweifel Martin, Die Strafsteuer als Strafe, ASA 1989/90 1ff, insb. S. 4ff; Kälin
Walter/Sidler Lisbeth, Die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK auf kantonale Steuerhinterziehungsverfahren,
Archiv für schweizerisches A/jointfilesconvert/312451/bgaberecht 1988/89, 529ff, insb. S. 538f m.w.H.; Anzenberger Werner,
Finanzstrafrecht und MRK: Neuerungen im Finanzstrafrecht im Lichte der europäischen Menschenrechtskon-
vention, Wien 1989, S. 69.
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Die Kommission hält Straf- und Zusatzsteuern wohl für strafrechtlich im Sinne von Art. 6-1 EMRK, vgl. B
11464/85, Max von Sydow v. Sweden, DR 53, 85; EuGRZ 1987 329 sowie gütliche Einigung, DR 53, 121;
EuGRZ 1988 329; E 12547/86, M.B. v. France, EuGRZ 1992 174f; die Konventionsorgane haben in dieser