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Auslegungs-grundsätze der anwendbaren
68
Art. 31-33 WVK tragen wenig zur Erhellung bei, da
sich dem Wortlaut wie auch den Vertragsverhandlungen keine eindeutigen Hinweise entnehmen
lassen. Aus diesem Grunde ist die allgemeine Auslegungsregel des Art. 31-1 WVK bedeutsam;
vor allem die teleologische Auslegung hat ein besonderes Gewicht
69
. Die teleologische
Auslegung wird aber nicht abstrakt angewandt, vielmehr wird auf die vorherrschenden Rechts-
systeme der europäischen Staaten Rücksicht genommen. Nach ihrer Präambel stellt die
Menschenrechtskonvention eine dynamische Entwicklung eines gemeinsamen, europäischen
Grundrechtskataloges in Aussicht. Die zur Auslegung eingesetzten Organe haben die
Menschenrechtskonvention auf neue Gefährdungen der Individualfreiheit hin angepasst
ausgelegt
70
. Die in den letzten Jahrzehnten stark gewachsene Macht der Exekutive haben die
Konventionsorgane durch eine ausgeweitete Zuständigkeit der Gerichte zu kompensieren
gesucht, da die Konvention der richterlichen Kontrolle von Machtausübung ohnehin ein beson-
deres Gewicht zuweist
71
.
21 Der englische Begriff der "Civil rights" kann nicht mit "Zivilrecht" übersetzt
werden
72
, da in den angelsächsisch beeinflussten Rechtsordnungen keine Trennung von Zivil-
und öffentlichem Recht im Sinne der kontinentalen Tradition besteht
73
. Der Begriff ist im
englischen Recht den verschiedensten Auslegungen zugänglich
74
. Er könnte vor allem mit "civil
aktuell. Im Hinblick auf die neuere Praxis der Konventionsorgane hat Lemmens, Geschillen eine ebenso
vollständige wie auch grundlegende Arbeit verfasst.
68
Vgl. Urteil Golder, ECHR Series A 18, § 30; Urteil Sunday Times, ECHR Series A 30, § 48; Harris,
Application 174.
69
Vgl. Mémoire du Gouvernement Suisse du 30.10.1978 im Urteil Schiesser, ECHR Series B 32, S. 41f, 47;
Miehsler, IntKom, N. 55 zu Art. 6 EMRK; Ganshof van der Meersch Walter, Le caractère "autonome" des
termes et la "marge d'appréciation" des gouvernements dans l'interprétation de la Convention européenne des
Droits de l'Homme, in: Mélanges Gérard Wiarda, Köln usw. 1988, S. 201ff, insb. S. 202, Ziff. 5 m.w.H.; Khol,
Implications 637, § 3; Kälin, Faktor 534; Thürer, Entwicklungen 381; de Schutter Olivier, L'interprétation de la
Convention européenne des Droits de l'Homme: un essai en démolition, in: Revue de Droit International de
Sciences Diplomatiques et Politiques 1992, S. 83ff, insb. S. 87 und Anm. 21; Ost François, Originalité des
méthodes d'interprétation de la Cour européenne des droits de l'homme, in: Delmas-Marty Mireille (Hrsg.),
Raisonner la Raison d'Etat, Paris 1989, S. 405ff, insb. S. 412f (zum Urteil Golder) und S. 422ff.
70
Gl. A. Kälin, Faktor 535.
71
Vgl. Trechsel, Einfluss 685f.
72
Vgl. Miehsler, IntKom, N. 4 zu Art. 6 EMRK m.w.H.; Frowein, Rechtsschutz 12f; Schmuckli, Fairness 21.
73
Der berühmte englische Verfassungsrechtler Albert Venn Dicey, The Law of the Constitution, 10th edition,
London usw. 1959, S. 330 schrieb: "For the term 'droit administratif' English legal phraseology supplies no
proper equivalent. The words 'administrative law', which are its most natural rendering, are unknown to English
judges and counsel, and are in themselves hardly intelligible without further explanation." Vgl. Garner
Jack/Jones B., Administrative Law, 6th Edition, London 1985, S. 3f wonach die Aussage Diceys auch heute
noch richtig sei, aber "if administrative Law is simply considered to be the law relating to the administration of
government, there must be acknowledged to be a large body of administrative law in Britain today ..."; vgl. auch
Foulkes David, Administrative Law, 7th Edition, London 1990, S. 5.
74
Vgl. Harris, Application 157ff; Miehsler, IntKom, N. 7ff zu Art. 6 EMRK; Schmuckli, Fairness 40.