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4. Ausblick: Art. 98a OG
98 In der Schweiz hat sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur langsam durchge-
setzt
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.
Im Bund gestaltete sich der Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit trotz der seit 1874 stark
angewachsenen Bundeskompetenzen äusserst schwierig. Die Bemühungen des Zürcher
Staatsrechtslehrers Fritz Fleiner führten 1929 nur zu einer partiellen Verwal-
tungsgerichtsbarkeit durch das Bundesgericht. Dieses war lediglich in den gesetzlich
enumerierten Fällen zuständig; im übrigen blieb es bei der verwaltungsinternen Rechtspflege.
Erst 1968 verwirklichte eine Partialrevision des Organisationsgesetzes die
Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem System der Generalklausel (Art. 97 OG).
99 Eine bedeutende Neuerung bringt die jüngste Teilrevision des Organisations-
gesetzes. Art. 98a OG realisiert ein Postulat des Verfassungsentwurfes von 1977 (Art. 40 Abs.
3 VE): Die Kantone werden verpflichtet, bis zum 15.2.1997 für Streitigkeiten aus dem
Bundesverwaltungsrecht, verwaltungsunabhängige Vorinstanzen mit genereller Zuständigkeit
(Verwaltungsgerichte, Rekurskommissionen) einzurichten. Dabei besteht auch die Hoffnung,
dass die Kantone für ihre Streitigkeiten aus kantonalem Verwaltungsrecht ebenfalls diese
Gerichte mit dem System der Generalklausel einsetzen werden. Denn in den meisten Kanto-
nen sind bestimmte Materien von der kantonalen Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen.
Immerhin besitzen jetzt fast alle Kantone ein Verwaltungsgericht
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.
100 Art. 98a OG führt nun allerdings zu einer rechtsstaatlichen Schieflage. Im
Bereiche des Bundesverwaltungsrechts realisiert er nämlich eine zweistufige Verwaltungsge-
richtsbarkeit durch eine kantonale Instanz und das Bundesgericht als eidgenössisches
Verwaltungsgericht. Dagegen findet im Bereich der umfangreichen Ausnahmematerien der
Art. 99-101 OG überhaupt keine Gerichtskontrolle statt: Der Bundesrat ist letzte Instanz.
Soweit die Kantone in ihren eigenen Angelegenheiten ein Verwaltungsgericht vorsehen,
besteht immerhin eine gerichtliche Instanz mit anschliessender verfassungsgerichtlicher
Kontrolle durch das Bundesgericht (staatsrechtliche Beschwerde). Schliessen die Kantone in
ihren Angelegenheiten ihr Verwaltungsgericht aus, so kommt lediglich die - bekanntermassen
ungenügende - staatsrechtliche Beschwerde zum Zuge. Auch in dieser Situation besteht eine
krasse Diskrepanz zwischen einer zweistufigen, gerichtlichen Bundesverwaltungsrechtspflege
und einer fast ganz fehlenden Gerichtskontrolle.
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Vgl. N. 86 zur staatsrechtlichen Beschwerde, welche einen gewissen Ersatz dafür bot.
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Mit Ausnahme des Kantons Appenzell I.Rh. besitzen jetzt immerhin alle Kantone ein Verwaltungsgericht:
Zuletzt hat der Kanton Appenzell A.Rh. die Einführung eines allgemeinen Verwaltungsgerichtes beschlossen.
Das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist von der Landsgemeinde 1993 angenommen werden. Das
Gesetz ist vorbildlich; so verwirklicht es die Öffentlichkeit der Verhandlungen und normiert eine weitgehende
Sachzuständigkeit des Verwaltungsgerichts, vgl. den erläuternden Bericht der Expertenkommission für die
Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Herisau 20.10.1992;
Landsgmeindevorlage: Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Lesung, Herisau 26.1.1993.