VI
Vorwort
Vor 25 Jahren habe ich die ersten Kontakte im Strassburger Palais des droits de
l'homme geknüpft. Unvergesslich bleibt, dass erfahrene Mitarbeiter wie Karel
Vasak mir, dem blutigen Anfänger, immer wieder dieselbe Frage stellten: Was
bedeuten die Wörter "civil rights and obligations", beziehungsweise "droits et
obligations de caractère civil", in Art. 6 Ziff. 1 EMRK? Ich habe sehr naiv eine
Antwort gegeben, die sich als völlig falsch entpuppen sollte: Gemeint seien Zivil-
rechtsstreitigkeiten. Damals stellte sich die Frage im Fall Ringeisen, und sie sollte
sich in den folgenden Jahren immer wieder stellen.
Etwas weniger dornenvoll erwies sich die Auslegung des Begriffs "strafrechtliche
Anklage", aber auch in diesem Bereich kam es immer wieder zu hitzigen
Auseinandersetzungen.
Heute liegt zum Anwendungsbereich von Artikel 6 eine reichhaltige Recht-
sprechung vor, die zu seiner stetigen Ausweitung geführt hat. In der Regel war es
der Gerichtshof, der Grenzen durchbrach, während die Kommission grössere
Zurückhaltung übte in der Befürchtung, die Anwendung der Garantien von Art. 6
in Verwaltungssachen könnten zu deren Verwässerung führen. Eines hat sich
allerdings kaum geändert: Noch heute herrscht Unsicherheit in der Frage, in
welchen Fällen und auf welche Weise Art. 6 in Verwaltungssachen anzuwenden
sei.
Mit grosser Dankbarkeit darf deshalb die sorgfältige und reichhaltige
Untersuchung von Dr. Kley begrüsst werden, die nicht nur mit Akribie die
Rechtsprechung von Kommission und Gerichtshof darstellt und analysiert,
sondern überdies, was leider nicht selbstverständlich ist, die europäische Literatur
über alle Sprachgrenzen hinweg verwertet.
In der zweiten Hälfte seiner Arbeit legt Kley sodann dar, was die Garantie des
"fair trial" in der Praxis bedeutet, wobei auch die Ungültigkeit der